Ein Kind, ein Laptop

Von Sarah Funk · · 2009/07

Jedem Kind sein eigener Laptop: Im Rahmen dieses Programms wurden bereits über 800.000 Computer in Entwicklungsländern verteilt. Doch die Annahme, Technik allein könne soziale Probleme lösen, ist und bleibt eine Illusion.

Wenn Nicholas Negroponte, der Begründer der gemeinnützigen Organisation One Laptop Per Child (OLPC), seine Vision einer digital vernetzten Welt entfaltet, in der Kinder so selbstverständlich Zugang zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (ICTs) besitzen wie ein Paar Schuhe an ihren Füßen, erntet er stürmischen Beifall und Zustimmung ebenso wie breite Skepsis oder Kritik. Negroponte polarisiert. Den einen gilt er als Utopist, der sich mit seiner jüngsten Ambition, jedes Kind in einem Entwicklungsland mit einem eigenen Laptop auszustatten, selbst ein Denkmal setzen möchte, den anderen als kühner Vordenker des digitalen Zeitalters, der mit OLPC einen überaus praxisbezogenen Ansatz zur Überbrückung des Global Digital Divide, des global ungleichen Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien, vorlegte.

One Laptop Per Child macht den Namen zum Programm: Kinder in den Ländern des Südens erhalten einen robusten, kostengünstigen und vernetzten Laptop, der von ExpertInnen aus Industrie und Wissenschaft speziell zu diesem Zweck entwickelt wurde und auf OpenSource Software basiert. Der unter dem Namen 100-Dollar-Laptop (auch: XO-Laptop) bekannt gewordene Computer soll benachteiligten und marginalisierten Kindern neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe in einer zunehmend vernetzten Welt sowie selbstbestimmte Formen des Lernens, Experimentierens und Forschens eröffnen.

Ausgehend vom Paradigma der globalen Informations- und Wissensgesellschaft wird dabei den ICTs große Bedeutung für die Veränderung ökonomischer, politischer und sozialer Realitäten zugeschrieben. Die ambitionierten Ziele der Organisation beschränken sich jedoch nicht nur auf den Bildungssektor. OLPC möchte ebenso einen Beitrag zur Bekämpfung globaler Armut und Unterdrückung leisten. Vielleicht macht gerade die Vorstellung, mit einer Klappe viele Fliegen zu schlagen, die Attraktivität des Projekts aus.

Am „Weltgipfel zur Informationsgesellschaft“ in Tunis 2005 erfolgte die erste offizielle Präsentation des XO-Laptops durch den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die Massenproduktion des 100-Dollar-Laptops begann im November 2007. Seither wurden über 800.000 Laptops an 31 Länder ausgeliefert.

OLPC ist auf die Bedürfnisse und Anwendungskontexte von Menschen in Entwicklungsländern ausgerichtet. So kann die für den Betrieb des Geräts notwendige Stromversorgung auch über Solarzellen, Autobatterien und kleine Windgeneratoren sichergestellt werden. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, einen Dynamo an den Laptop anzuschließen und mittels Zugseil oder Pedalen manuell Strom zu generieren, was angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig etwa zwei Milliarden Menschen, d.h. ein Drittel der Weltbevölkerung, über keinen Stromanschluss verfügen, eine wichtige technische Alternative darstellt.

Uruguay bekannte sich als eines der ersten Länder zu einer flächendeckenden Verteilung von Laptops an Kinder im Grundschulalter. OLPC ist hier in die staatliche Initiative Proyecto Ceibal integriert, die den Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Segmenten der Gesellschaft verbessern möchte. In Villa Cardal, einem Dorf ca. 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Montevideo, wird seit Mai 2007 ein Pilotprojekt mit XO-Laptops durchgeführt, die von der OLPC Foundation zur Verfügung gestellt wurden. Erste Einschätzungen bestätigen durchaus positive Auswirkungen der XOs auf die Unterrichtsqualität. Von den 150 Kindern der lokalen Grundschule wurden die Geräte mit Begeisterung aufgenommen. Ingesamt profitieren bereits 202.000 Kinder in Uruguay von OLPC.

One Laptop Per Child hebt sich in mehrerlei Hinsicht von vergleichbaren Entwicklungsprojekten ab. Erstens wird das Projekt von WissenschafterInnen getragen, die zu den besten und einflussreichsten ihres Feldes gehören, jedoch keinen entwicklungspolitischen Hintergrund besitzen. Im legendären Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) begründet, fungiert OLPC seit der offiziellen Gründung der OLPC Foundation (http://laptop.org) im Jahr 2005 als eigenständige und unabhängige Non-Profit-Organisation. Zweitens verhalfen strategische Netzwerke und einflussreiche Partner wie Google oder die News Corporation OLPC von Anfang an zu jener medialen Präsenz, die für die Vermarktung einer Initiative dieser Größenordnung unabdingbar ist.

Denn OLPC ist ein Projekt mit globalem Anspruch: Länder des Südens sollen ungeachtet ihrer ökonomischen, politischen und kulturellen Diversität vom Nutzen des 100-Dollar-Laptops überzeugt werden. Drittens unterscheidet sich One Laptop Per Child durch sein großes Mobilisierungspotenzial von anderen Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit: OLPC verfügt über eine weltweite Community an UnterstützerInnen, die sich durch ihre aktive Partizipation am Projekt auszeichnen und OLPC durch überwiegend ehrenamtliches Engagement weitertragen, lokalisieren, modifizieren und verändern.

Kritik lässt sich am Technikdeterminismus der OLPC Foundation üben. OLPC begreift Technologie als Motor zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Nichttechnische Probleme, wie Armut und mangelnde Bildung, sollen technisch gelöst werden. Die Ausblendung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen führt zu einer Entpolitisierung gesellschaftspolitischer Phänomene. Aus diskursanalytischer Perspektive ist vor allem die paternalistische Attitüde zentraler AkteurInnen zu kritisieren, die die zu Begünstigenden gar nicht erst nach ihren Vorstellungen und Wünschen zu fragen brauchen, um zu wissen, was „gut“ für sie ist.

Die Unterstellung eines Gemeinwohls sowie einer Interessenidentität der Zielgruppe im Rahmen der „One size fits all“-Strategie führt zur Ausblendung der enormen Unterschiede in den Lebensbedingungen der Anderen. Negroponte und sein Team inszenieren sich als ExpertInnen der Entwicklung mit klar moralischem Anspruch. Sie treten mit dem Anspruch auf, Entwicklungsprobleme im „Süden“ zu lösen, ohne jemals den Beweis dafür angetreten zu haben. Anstatt in kleinem Rahmen die Gültigkeit der eigenen Thesen und Annahmen zu überprüfen und von externen Institutionen unabhängig und umfassend evaluieren zu lassen, wird die Implementierung des XO-Laptops als global einheitliche Zielvorgabe postuliert und das Projektrisiko den jeweiligen Partnerländern übertragen.

Entwicklungszusammenarbeit ist keine Begegnung unter Gleichen. Um Machtstrukturen aufzudecken, zu analysieren und zumindest partiell abbauen zu können, gilt es, die eigene Position stetig mitzureflektieren. Dies betrifft sowohl die gesamte Konzeption von OLPC als Organisation und Projekt, als auch die Art und Weise, wie sich zentrale AkteurInnen des Projekts in der Öffentlichkeit selbstinszenieren. Natürlich ist dies immer auch eine Gratwanderung. Ein Projekt wie OLPC muss sich verkaufen, um erfolgreich zu sein. Doch stellt sich die Frage, was Erfolg bedeutet. Welche Kriterien werden als Maßstab genommen, um über den Erfolg oder Nicht-Erfolg des Projekts zu urteilen? Hat OLPC seine Mission erfüllt, wenn computergestütztes Lernen als bestmögliche und effizienteste Unterrichtsmethode anerkannt wird? Wenn Bildungssysteme in der „Dritten Welt“ revolutioniert, globale Armut bekämpft und Umweltzerstörung gestoppt sind? Oder gilt es bereits als Erfolg, wenn 800.000 Kinder in Entwicklungsländern nun über einen eigenen Laptop verfügen und die Überwindung des Digital Divide einen Schritt näher rückte?

OLPC wird nicht umhin kommen, Antworten auf diese Fragen grundsätzlicher Natur zu liefern. Denn schon jetzt zeichnet sich das Scheitern des Projekts an seinen eigenen Ansprüchen ab. Die Zukunft des Projekts ist ungewiss. Fest steht, dass all jene, die OLPC ehrenamtlich unterstützen und ihre Zeit in das Projekt investierten, nicht einfach aufhören werden, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren – mit oder ohne OLPC. Manche Pilotprojekte, wie in Nepal, laufen durchaus erfolgreich und weitgehend unabhängig von der offiziellen OLPC Foundation rund um Nicholas Negroponte. Fakt ist jedoch, dass die Hoffnung, Technik könne soziale Probleme gleichsam im Alleingang lösen, eine Illusion bleibt. Daran ändern auch kleine grüne Laptops nichts.

Sarah Funk studierte Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Dieser Artikel basiert auf ihrer 2009 an der Universität Wien eingereichten Diplomarbeit zum Thema „One Laptop Per Child. Diskursanalytische Betrachtungen eines Entwicklungsprojekts“.

Weiterlesen:
http://laptop.org
http://olpcnews.com

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